Auf dem Papier stand sehr viel Text - in Polnisch! Den konnte ich nicht lesen. Dennoch bestand die Dame darauf, dass ich ihn ausfüllen sollte. Ich machte ein paar Kreuze, schrieb meinen Namen drauf und unterschrieb das Ganze. Nun kam es auch nicht mehr drauf an!
Die Dame wollte meinen Ausweis sehen und mein Versicherungskärtchen. Ich versuchte, sie zur Eile anzutreiben. Schließlich wußte ich, was eine Netzhautablösung bedeutet. Da geht es um Minuten.
Die Dame ließ sich jedoch nicht drängen. Da wurde ich laut und erklärte auf Englisch, dass ich bei weiterer Verzögerung die Sehfähigkeit des rechten Auges verlieren könnte. Eine Dame zur Linken hatte mein Englisch verstanden und mischte sich ein. Ich solle hier nicht brüllen, sonst würde es noch länger dauern. Ich sah eine Chance: Da war jemand, der meine Sprache verstand, dem ich die Dringlichkeit der Situation begreiflich machen konnte. Doch auch diese Englisch sprechende Dame blieb ungerührt. Sie schob mir noch mehr Papiere rüber und zeigte keinerlei Verständnis für meine Not.
Es dauerte etwa 15 Minuten, bis sie mich in einen großen Saal führte, in dem viele Menschen warteten. Sie bedeutete mir, Platz zu nehmen und verschwand mit meiner Anmeldung, an der immerhin ein roter Sticker befestigt war, in den Tiefen des Gebäudes.
Um mich herum Menschen in typischer Wartehaltung. Manche unterhielten sich, die meisten schwiegen. Immer wieder wurden Namen aufgerufen. Personen erhoben sich und verschwanden durch eine Schwingtür. Allmählich verließ mich die Hoffnung, dass ich hier als Notfall behandelt wurde. Mein Nachbar verstand Englisch. "Ja, ich sei hier in der Notfallambulanz der Augenklinik", bedeutete er mir. "Die anderen seien auch Notfälle. Er z.B. habe ein Steinchen im Auge, welches er selbst nicht entfernen konnte." Ich versuchte ihm den Unterschied zwischen seiner Not und der meinigen klar zu machen, hatte aber nicht den Eindruck, dass dies dem jungen Mann klar wurde.
Schließlich wurde er aufgerufen - vor mir!
Ich gab die Hoffnung auf, mein Augenlicht retten zu können. Dann war es eben so. Warum hatte ich auch unbedingt nach Polen fahren wollen. Wer sich in die Gefahr begibt, kommt darin um.
Na ja, ganz so weit war es ja noch nicht. Es ging ja nur um das Sehvermögen des rechten Auges. Man kann doch auch mit einem Auge leben.
Nach drei Stunden hörte ich meinen Namen. Ich ging durch die Schwingtür und und wurde von einer jungen Dame auf Englisch nach dem Grund meines Kommens gefragt. Es war eine Augenärztin, die sich sehr schnell davon überzeugte, dass hier sofortiges Handeln vonnöten war. Sie brachte mich zum Oberarzt, der mich auf Deutsch fragte, warum ich nach Polen gekommen sei. Es sei nämlich langes Wochenende, und da könne die äußerst dringliche OP nicht durchgeführt werden. Ich bat ihn, mich dorthin zu bringen, wo eine solche OP möglich sei. Das brachte ihn zum Nachdenken. "Also gut, er werde die Operation durchführen, sobald ein Anästhesist zur Verfügung stünde".
Eine englischsprachige Stationsärztin bereitete meine Aufnahme vor. "Nein, ein Einzelzimmer gebe es nicht. Ich müsse die Nacht auf dem Gang verbringen." Zu dem Zeitpunkt war mir alles egal. Hauptsache, mein Sehvermögen wurde gerettet.
Ich konnte mich sogar noch Duschen und den ganzen Angst- und Wutschweiss des Tages in Wasser auflösen.
Auch der Anästhesist sprach Englisch. Die Operation würde unter Lokalanästhesie stattfinde und eine Stunde dauern. Sie dauerte länger als zwei Stunden, und das starre Liegen auf dem Rücken wurde mit der Zeit zur Qual. Auch spürte ich die Laserbehandlung wie spitze Stiche im Auge. Dennoch, ich war glücklich, denn nun bestand wieder Hoffnung, dass die Sehfähigkeit des rechten Auges gerettet werden konnte.
Ich landete wie angekündigt in einem Bett auf dem Flur, auf dem schon mehrere Patienten Platz gefunden hatten. Ich sollte in erhöhter Seitenlage liegen bleiben, was kaum möglich war. Ich versuchte es trotzdem.
Die nette Stationsärztin vom Vortag hatte mir eingeschärft, ich solle den Oberarzt Dr. K. fragen, ob ich gleich am nächsten Tag nach Hause gehen könne. Wenn Dr. K. einverstanden sei, stünde meiner Entlassung nichts im Wege.
Dr. K., der deutsch sprach und mir während der OP immer sympathischer geworden war, wollte die Verantwortung für meine schnelle Entlassung nicht allein tragen. "Wenn die Stationsärztin, Dr. G. meine Entlassung befürwortete, stünde dieser nichts entgegen.
Als ich diese Formulierung Frau Dr. G. am nächsten Morgen mit stark geschwollenem Auge mitteilte, kamen ihr Bedenken. Ich solle noch da bleiben. Gegen Mittag käme der Oberarzt zur Visite. Dann könne er selbst entscheiden.
Ich spürte, dass nun geschicktes Vorgehen gefragt war. Ich mochte in diesem Krankenhaus unter diesen Umständen nicht länger bleiben. Mittlerweile war ich in ein 3 Bettzimmer verlegt worden zu zwei älteren Polen, die kein Deutsch oder Englisch sprachen, dafür aber zusammen mit zwei Kumpels Karten spielten und den Fernseher auf voller Lautstärke laufen ließen. Auch vom Pflegepersonal sprach niemand Englisch oder Deutsch. Zum Frühstück hatte ich Mehlsuppe und Graubrot mit Rübenkraut gegessen. Zu Mittag erhielt ich einen Teller mit einem graublauen Fleischkloss, Bohnen und Hülsenfrüchten. Zwar tat die Ernährung meinem Wunsch, abzunehmen, gut, aber ich mochte sie mir doch nicht weiter antun.
Ich sehnte mich nach meinem ruhigen Hotelzimmer, welches mir auch hygienisch in einem besseren Zustand als dieser Krankenflur zu sein schien. Hatte ich schon erwähnt, dass Patienten in einem polnischen Krankenhaus eigene Handtücher, eine Tasse und Besteck mitbringen müssen? All das hatte ich nicht. Am ersten Abend hatte ich mich mit einem Bettlaken abgetrocknet. Wie sollte das weitergehen?
Als der Oberarzt zur Visite erschien, war ich fest entschlossen, meine Entlassung mit allen Mitteln zu betreiben. Ich kürze hier ab. Um 15 Uhr stand ich am Ausgang, ausgerüstet mit einem Rezept und einem Arztbrief in Polnisch. Von der Verwaltung gebe es strikte Order, Arztbriefe nur auf Polnisch mitzugeben, hatte mir die Stationsärztin bedeutet.
In diesem Moment war mir das egal. Ich war nur froh, dem polnischen Krankenhaus entkommen zu sein.
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