Montag, 1. Oktober 2018

Auf der Wolga 1. Oktober

Seit zwei Tagen bin ich nun auf der Wolga. Die Wolga ist gar nicht die Wolga, sondern ein sehr komplexes System von Flüssen, Seen und Kanälen, welches mittleren Frachtschiffen die Passage vom Kaspischen Meer bis zur Ostsee gestattet. Wir wurden auf der Moskwa eingeschifft und passieren auf dem Weg nach Petersburg und auf rund 1770 Fahrkilometern so grosse Seen, wie den Rybinsker und den Ladogasee. Momentan haben wir Jaroslawl passiert und sind auf dem Weg zum Rybinsker See. Dieser Stausee ist 200km lang und achtmal größer als der Bodensee. Nach seiner Fertigstellung noch unter Baumeister Stalin im Jahr 1941 brauchte es 8 Jahre, um ihn zu füllen. 
Ich wurde gefragt, ob eine solche Schiffsreise entschleunigt. Das hängt tatsächlich vom Reisenden selbst ab. Wenn ich nämlich den Ehrgeiz habe, das gesamte Bordprogramm mitzumachen, dann hetze ich von einer Veranstaltung zur nächsten. Damit meine ich nicht nur die drei Mahlzeiten täglich, die wir im Wolga Restaurant einnehmen. Damit meine ich auch den Sprachkurs, das Russische Singen, die Bastelkurse, Volkstanzgruppen, Regionalinfos und die russische Teezeremonie, die ich grade im Moment des Blog Schreibens verpasse. Man muss Prioritäten setzen, und da habe ich mir angewöhnt, mich immer wieder auf die Kabine zurück zu ziehen, um dort ein Schläfchen zu halten oder etwas zu lesen.


Wenn dann mal ein schönes Motiv am Fenster auftaucht, ist es oft schon zu spät, um es zu fotografieren. Und es tauchen schöne Motive auf. So schön hab ich mir das gar nicht vorgestellt. Zwar gibt es auch immer wieder langweilige Strecken mit Wald ohne Ende, aber oft tauchen Häuser, Schleusen oder kleine Ortschaften auf mit Zwiebeltürmen en masse. 



Oben sehen wir den Kirchturm eines Städtchens, welches beim Bau des Stausees in den Fluten versank. Damals gab es keine Umweltaktivisten, die sich dem Bau entgegengestellt hätten. Nun, das waren andere Zeiten, und der Yangtse Staudamm wurde ja auch trotz Protesten fertig gestellt.
Gestern waren wir in Uglitsch, eine uralte Stadt aus dem goldenen Ring. Leider war das Wetter schlecht, und ich musste 1500m durch den Nieselregen humpeln, bis wir bei der Kathedrale angelangt waren. In der Sowjetzeit, war die Kathedrale zum Museum umfunktioniert worden. Prachtstück des Museums zur Verherrlichung des Sozialismus war ein Traktor aus sowjetischer Produktion.


 Heute steht der Traktor nicht mehr in der Kathedrale, sondern davor.
In Uglitsch wurde 1597 Dimitri, der letzte Thronfolger aus dem Geschlecht Iwans des Schrecklichen, als Knabe von den Schergen von Boris Godunow umgebracht. Deswegen wurde eine Kirche Dimitri Blut Kirche genannt.

Heute morgen stand Jaroslawl auf dem Programm. Ausschiffung um halb neun. Ich hatte mich bei Boris Akunin, einem russischen Kriminalschriftsteller festgelesen und verpasste das Ausschiffen um wenige Minuten. Da stand ich nun mutterseelenallein am Pier. Gruppe weg, Busse weg, Schiff zum Tanken weg. Und ich ganz allein mit Humpelstock. Doch Hilfe war nah. Lenin wies mir den Weg ins Zentrum.


Das was mir zunächst als Unglück erschien, erwies sich im Nachhinein als glückliche Fügung. Ich spazierte allein durch Jaroslawl, ging zum Friseur, auf den Andenkenmarkt und landete schließlich im Time Café. Was ist ein Time Café? Man bezahlt dort pro Minute zwei Rubel (2,6 Cent) und kann soviel konsumieren, wie man möchte. Ich blieb über eine Stunde, trank zwei Capucchino und unterhielt mich bestens mit der Geschäftsführerin, einer Psychologin.

Es stellte sich heraus, dass das Time Café so eine Art Familienzentrum ist. Dort finden Familien einen Ort, um sich auszutauschen und beraten zu werden. Eine interessante Erfahrung für mich auf der Reise.
Zum Schluss noch ein paar Abendbilder von der Fahrt auf der Wolga nach Tscherepowetz.





















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